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Lesenswertes von mir und meiner Arbeit

Die Schambeinentzündung – ein Mythos im Sport

Buch über Schambeinentzündung

Im Sommer 2016 erscheint nun endlich mein Buch: „Die Schambeinentzündung – ein Mythos im Sport“

Schambeinentzündung

Schambeinentzündung bei Sportlern

Physiotherapeutische Maßnahmen an einem Fallbeispiel
(Zitate aus dem Beitrag in der Sportärztezeitung 02/2016)

Hinter Schmerzen im Bereich der Symphyse und der Schambeinäste verbergen sich sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Der verallgemeinernde Begriff der Schambeinentzündung ist deshalb irreführend. Man kann davon ausgehen, dass bei diesem Beschwerdebild eine Reihe körperstruktureller Probleme vorliegen. Physiotherapeut Marco Congia zeigt an einem Beispiel aus dem Fußball, wie das Problem behandelt werden kann.

Der Fußballregionalligaspieler David Lauretta bemerkte erstmals in der Wintervorbereitung der Saison 2014/2015 Schmerzen an der Oberschenkelinnenseite. Trotzdem trainierte er noch zwei Tage weiter. Am dritten Tag konnte er kaum noch gehen und brach das Training ab. Was dann folgte, war ein langwieriger Prozess, der mit der Diagnose Knochenödem und Verdacht auf Adduktorenzerrung im Januar 2015 begann.

Nach verschiedenen ärztlichen und physiotherapeutischen Behandlungen und längeren Pausen erhielt Lauretta im Juli 2015 die Diagnose Schambeinentzündung, worauf eine weitere Therapie stattfand (Spritzen, Stoßwellenbehandlung, Infusionen sowie Verabreichung von Vitamin D). Das Ergebnis war eine leichtere Verbesserung. Aber nach wie vor klagte Lauretta bei stärkerer Belastung und Verzicht auf die Spritzen über ein Schmerzgefühl im Adduktoren- und Hüftbeugerbereich. Ende Juli 2015 wurde der Sportler in unserer Physiotherapiepraxis vorstellig, und wir begannen eine umfangreiche konservative Behandlung.

Erstbefund

Nach einer ausführlichen Anamnese führten wir eine Reihe von Tests durch, unter anderem zu parietalen Dysfunktionen. Ein umfassender Ecoute-Test im Sitzen ergab ein auffälligeres Ergebnis als im Stand. Im Liegen zeigte sich ein erhöhter asymmetrischer Tonus im Bereich der Oberschenkel. Die Schmerzen des Patienten traten bei allen aktiven und passiven Bewegungen auf. Der Sichtbefund ergab eine deutliche muskuläre Dysbalance zwischen Bauch- und Rückenmuskulatur mit einem starken Muskeltonus der Bauchmuskeln.

Außerdem konnten bei Lauretta deutliche Triggerbänder im Bereich der Adduktoren und des hinteren Oberschenkels festgestellt werden. Des Weiteren stellten wir eindeutig Continuum Distorsionen im Bereich der Symphyse und eine Faltdystorsion L4 fest. Bei der globalen viszeralen Testung zeigte sich in der unteren Bauchhälfte eine festere Spannung. Die parietale Untersuchung ergab Hinweise auf eine Fehlstellung des Beckens (Ilium anterior links mit einem Outflare und einem Pubis inferior). Ferner zeigten sich eine Dysfunktion FRS rechts und dysregulierte Segmente in Höhe Th2/Th3 sowie Th5/Th 6. Eine Blockade der Kopfgelenke C0/C1 und eine überhöhte Dura-Mater-Spannung konnten festgestellt werden.

Behandlungsplan

Basierend auf diesem Ersbefund erarbeiteten wir einen Behandlungsplan. Das tägliche Programm für den Patienten bestand zum einen aus Hands-on-Behandlungen, im Speziellen mit dem osteopathischen Fasziendistorsionsmodell nach Typaldos sowie mit Flossing. Dabei werden die betroffenen Extremitäten mit einem Latexband großflächig eingewickelt, sodass ein Zug entsteht. Gleichzeitig wird das Gelenk bewegt.

Zum anderen ging es im Bereich der Hands-off-Techniken um ein spezielles, mobilisierendes Krafttraining gemäß der PRT-Methode nach Prof. Bert van Wingerden. Antagonistisches Dehnen und prehabilitatives Trining standen ebenfalls auf dem Plan. Zudem wurde eine Ernährungsumstellung besprochen und ein passender, individueller Ernährungsplan erstellt. Täglich fanden ein bis drei Behandlungen von einer bis eineinhalb Stunden statt, schon bald mit den erwünschten Ergebnissen. Nach gut sechs Wochen war der Patient beschwerdefrei und konnte wieder ins Training einsteigen.

Empfehlung

Für den nachhaltigen Erfolg ist es wichtig, das ein ausreichendes Aufwärmtraining verbunden mit Dehnübungen absolviert wird. Wenn möglich sollen neue Bewegungsabläufe eingeübt werden, um zu abrupte Bewegungen zu vermeiden. Ein durch medizinisches Fachpersonal beaufsichtigtes Aufbau- und Stabilisierungstraining für die Bauch- und Rumpfmuskulatur wird ebenfalls empfohlen.

Die eingesetzten Behandlungsmethoden im Überblick:

Viszerale Techniken der Osteopathie für die Unterbauchorgane
Fasziale Techniken der Osteopathie für die Diaphragmen, für die Zentralsehne und für die Bowstrings
Cranio-Sacral-Therapie
Flossing im Beckenbereich und an den Adduktoren
Fasziendistorsionsmodell nach Typaldos im Bereich der Adduktoren
Symphysen Techniken
Entspannungsfördernde Positional-Release-Technik (PRT)
Core-Training nach Mark Verstegen

Schmerz lass nach

Neue Studie stützt Effizienz frühzeitiger Physiotherapie

Bei akuten Nacken- oder Rückenschmerzen hilft nur der Griff zur Medikamentenschachtel? Diese Auffassung könnte sich bald ändern. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu der Erkenntnis, dass frühzeitige Physiotherapie bei akuten Beschwerden am Bewegungsapparat die bessere Alternative ist. Mit den neuen Forschungsergebnissen geht die Forderung nach einem Umdenken einher: Physiotherapeutischen Behandlungen den Vortritt vor ärztlichen Maßnahmen zu geben. Das würde den Schmerzmittelkonsum, Operationen und Kosten reduzieren. Ein direkter Zugang zum Physiotherapeuten könnte all das gewährleisten.

Enorme Kosten vermeidbar?

Beschwerden am Bewegungsapparat führen besonders in westlichen Industrienationen zu immensen Kosten. Der größte volkwirtschaftliche Schaden wird dabei durch Rückenschmerzen ausgelöst. Die damit einhergehenden, jährlich zunehmenden direkten Krankheitskosten von mehr als 8,3 Mrd. Euro pro Jahr sind gravierend. Diese Kosten werden in erster Linie durch bildgebende Verfahren, Rückenoperationen, Spritzen sowie durch die Verordnung von Schmerzmedikamenten ausgelöst. Zudem gehen mit solchen Maßnahmen Nebenwirkungen und Gefahren, wie OP-Komplikationen, einher. Dennoch raten aktuell gültige Versorgungsleitlinien bei Patienten mit akuten Rückenschmerzen von physiotherapeutischen Maßnahmen ab. Einen Grund hierfür stellt ein Mangel an Studien zu der Thematik dar.

Neue Studie fordert Umdenken

Licht ins Dunkel bringt erstmalig eine großangelegte systematische Übersichtsarbeit, die den gesamten Forschungsstand zusammenfasst. Wissenschaftler um Heidi Ojha von der University of Pennsylvania in Philadelphia untersuchten insgesamt 14 Studien, die bei Patienten mit Rücken- und Nackenschmerzen einen frühzeitigen, direkten physiotherapeutischen Behandlungsbeginn mit einer verspäteten Physiotherapie – wie in den Leitlinien empfohlen – verglichen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Alle untersuchten Studien wiesen nach, dass ein rascher Beginn der Physiotherapie keinerlei nachteilige Effekte, wie Nebenwirkungen oder Schmerzen, für die Patienten hat, sondern im Gegenteil medizinische Maßnahmen verringert und damit Kosten spart.

Der Wissenschaft Rechnung tragen

Die Kombination aus zunehmenden Kosten, gefährlichen Nebenwirkungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen lassen den Ruf nach innovativen Behandlungsstrategien immer lauter werden. Der Bundesverband Selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) setzt sich schon jetzt im Rahmen der aktuellen Neufassung der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz für die Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse ein. Dennoch werden weitere Studien folgen müssen, die den Effekt des Timings bei der Initiierung der Physiotherapie untersuchen, damit Versorgungsleitlinien nicht mehr umhin kommen, dieser Evidenz gänzlich Rechnung zu tragen.

In den USA ist dieser Ansatz bereits in der Versorgung angekommen. Dort werden akute Rückenschmerzpatienten teilweise in den ersten drei bis vier Tagen direkt vom Physiotherapeuten versorgt. Die Behandlungskosten halten sich im Rahmen, da 70 Prozent der Patienten nur eine einzige Sitzung beim Physiotherapeuten benötigen. Der Fokus liegt dabei auf aktiven Verhaltensstrategien, zu denen die Therapeuten die Patienten anleiten, damit sie erst gar keine negative Haltung gegenüber ihren Beschwerden entwickeln.

Direkter Zugang zum Physiotherapeuten lohnt sich

Um dem Anspruch eines raschen Behandlungsbeginns gerecht zu werden sowie das Gesundheitssystem von Kosten und die Versicherten von Schmerzen zu entlasten, ist der sogenannte Direktzugang der effizienteste Weg. Bei einem direkten Zugang zum Physiotherapeuten können sich Versicherte mit Rückenschmerzen ohne vorherigen Arztbesuch direkt an ihren Physiotherapeuten wenden. Dieser beurteilt zunächst, ob Physiotherapie die geeignete Behandlungsmethode darstellt. Falls ja, können gezielte Maßnahmen eingeleitet werden. Der Direktzugang zählt in vielen europäischen Ländern schon zur Regelversorgung. In Deutschland setzt sich der IFK seit Jahren für eine Einführung des Direktzugangs in der Physiotherapie ein.

Quelle: IFK 18.05.2016

Inversionstrauma

Frühzeitige Belastung in der Physiotherapie von Marco Congia
(aus pt_Zeitschrift für Physiotherapeuten_68 (2016) 4

Beim Fußball kennen es alle: Den verletzten Sportler betreuen neben Ärzten auch die Physiotherapeuten; sie beobachten vom Spielfeldrand die Profis, erfassen in kürzester Zeit die Verletzungsmechanismen und entwickeln selbst bei schwersten Verletzungen frühzeitig einen Behandlungsplan, damit der Fußballer schnell wieder einsatzfähig wird. Sie führen die Maßnahmen zielgerichtet aus, vertrauen auf ihre Erfahrungen und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Doch wie sieht die evidenzbasierte Physiotherapie beim Inversionstrauma aus: Sind Schutz, Pause, Eis, Kompression und Hochlagerung immer nötig oder kann schon frühzeitig belastungsabhängig trainiert werden?

Mit Unfällen einhergehende Verletzungen treffen die Menschen häufig unvorbereitet und können zu Beeinträchtigungen führen, die für den Patienten enorme Folgen haben. Diese Folgen lassen sich durch vier typische Leitsymptome in der Traumatologie zusammenfassen: Neben dem Verlust und der Einschränkung der Mobilität bei gleichzeitig reduzierter Belastbarkeit verletzter und heilender Strukturen können insbesondere Schmerzen, Beeinträchtigung der Vitalfunktionen sowie Verarbeitung des Traumas als Folgen identifiziert werden. So beinhaltet die Traumatologie die Behandlung und Erforschung von Unfallverletzungen sowie deren Folgen und die Rehabilitation der Verletzten.

Während die Akuterkrankung primäre Aufgabe des Arztes ist, erfolgt die Nachbehandlung und Rehabilitation oftmals durch Physiotherapeuten. Heutzutage steht eine Reihe an Therapien zur Behandlung von Verletzungen zur Verfügung, allerdings gibt es bislang für viele Probleme keine eindeutige Lösung, wie nachfolgend am Beispiel des Inversionstraumas deutlich wird.

Klinik des Inversionstraumas

Ein Inversionstrauma ist eine Traumatisierung verschiedener Bindegewebsbestandteile der lateralen Fußseite, meist durch eine plötzliche, übermäßige Inversionsbewegung kombiniert mit Plantarflexion oder Dorsalextension des Fußes über das physiologische Bewegungsmaß hinaus. Als Folge des Inversionstraumas kann es zu einer mechanischen oder funktionellen Instabilität kommen, oder auch zu einer Kombination von beidem. Neben Bewegungsschmerz, Funktionsverlust und Druckschmerz können Hämatome und ausgeprägte Schwellungen symptomatisch auftreten. Ein weiteres Problem liegt darin begründet, dass durch das Inversionstrauma verschiedene Begleitverletzungen auftreten können, die eine schnelle Genesung und einen Wiedereinstieg in die sportlichen Aktivitäten beeinflussen können.

Therapiemaßnahmen in der Diskussion

Heutzutage existieren eine Reihe an Therapiemaßnahmen, die jedoch in der Wissenschaft kontrovers diskutiert werden. So beschäftigte sich die Autorengruppe um Clijsen im Jahr 2007 mit der Frage, ob die sportphysiotherapeutische Behandlung akuter Inversionstraumata evidenzbasiert ist. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere bei der Behandlung von akuten Inversionstraumata in der Regel nur wenige wissenschaftliche Beweise für die Effektivität von physikalischen Anwendungen wie Elektrotherapie, Ultraschall und Kryotherapie vorliegen.

Bisher ging die Forschung davon aus, dass bei einer akuten Sportverletzung das gängige Modell PRICE Anwendung findet, das die Schlüsselvariablen Schutz, Pause, Eis, Kompression und Hochlagerung beinhaltet. Jedoch wurde dessen Relevanz in der Behandlung vor kurzem infrage gestellt, denn es wird vermutet dass die Variable der Pause keinen zusätzlichen Schutz für das Gewebe bringt. In diesem Zusammenhang wurde ein neuer Schwerpunkt miteinbezogen: die optimale Belastung (POLICE). Diese besteht in der zugeführten Belastung des Gewebes, durch die physiologische Anpassungen maximiert werden. Zwar gehört PRICE in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Standardtherapien des Inversionstraumas, allerdings sind viele Autoren der Auffassung, dass die Bezeichnung in POLICE geändert werden sollte.

Es besteht eine moderate Gewissheit darüber, dass die funktionelle Therapie keine eindeutigen Schlüsse bezüglich der Wirksamkeit der spezifischen Behandlungsmethoden gezogen werden. In einer weiteren Literaturstudie untersuchte Seipel 2014 physiotherapeutische Interventionen für Patienten mit (sub-) akutem Inversionstrauma und kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass keine einheitlichen Therapiestrategien für diese Patientengruppe existieren und diese weiterhin kontrovers in der Wissenschaft diskutiert werden. Allerdings konnte eine hohe Evidenz für die Bereiche Orthesen, Manuelle Therapien und Übungen identifiziert werden. Dennoch müssen die Daten aufgrund der methodologischen Schwächen mit Vorsicht interpretiert werden.

Das pt_ INTERVIEW mit Marco Congia gibt es hier: www.youtube.com/user/ptzeitschrift